Erste Wettbewerbsarbeit

«Wenn der Pestalozzikalender nicht mehr erscheinen würde» von Celestino Piatti, abgedruckt im «Schatzkästlein» zum Kalender von 1939 (Bild: Celestino Piatti / Verein «Celestino Piatti – das visuelle Erbe»)

In einem schweizerischen Schülerkalender findet sich eine der frühesten künstlerischen Äusserungen des gebürtigen Zürchers: Bereits in jungen Jahren lieferte Piatti eine erste Kostprobe seines bildgestalterischen Könnens ab, als er 1938, 16-jährig, an einem Zeichenwettbewerb des Pestalozzi-Kalenders teilnahm und einen Preis dafür gewann.

Sein Bild zeigt eine Gruppe Trauernder, just vor dem Grab des beliebten Kalenders. Der Linolschnitt spielt gekonnt mit den Mitteln dieses Mediums: Die Erwachsenen zeigen von Sorge und Gram zerfurchte Gesichter, die Kinder wischen sich mit kantigen Armbewegungen die Tränen aus den Augen. Im Hintergrund streckt ein kahler Baum seine knorrigen Äste in den Himmel, spendet jedoch keinen Trost.

Von Kalender zu Kalender

Das Titelbild des «Mein Freund»-Jugendkalenders 1965, gestaltet von Celestino Piatti (Bild: Celestino Piatti / Verein «Celestino Piatti – das visuelle Erbe»)

Viele Jahre später sollte Piatti wiederum zum Bildschmuck eines Schweizer Schülerkalenders beitragen, nun aber als renommierter Grafiker: Von 1964 bis 1974 blickte den Leserinnen und Lesern vom Umschlag des «Mein Freund»-Jugendkalenders eine Sonne Piattis entgegen.

Das Mondprofil ist in das Sonnengesicht hineingesetzt. Dadurch entsteht der Eindruck einer «Janusköpfigkeit», wie sie Andreas Platthaus in der Jubiläumspublikation beschrieben hat. Damit verleiht der Künstler dem Himmelskörper einen nachdenklichen Zug, ein indirekter Anklang an Piattis Bilderbücher, denen Humor und tieferer Sinn gleichermassen zu eigen sind.

Sonne und Mond gehören zu den zentralen Motiven in Piattis Schaffen, ebenso sein wohl bekanntestes Sujet: die Eule. Diese hat er nicht nur zu Papier gebracht, sondern auch in metallene Form gegossen.

Eine rote Eule in der Graphischen Sammlung

Die bemalte Eisenplastik «Grosse rote Eule» von Celestino Piatti, 1986 (Bild: ZB Zürich / Celestino Piatti / Verein «Celestino Piatti – das visuelle Erbe»)

So hat sich eine eiserne Eule in der Graphischen Sammlung in der Zentralbibliothek Zürich niedergelassen. Majestätisch wirkt das knallrot bemalte, etwas überlebensgrosse Eulentier, gleichzeitig voller Würde und Anmut. In die Sammlung kam sie im Zuge der von Bruno Weber kuratierten Ausstellung «Celestino Piatti. Dreissig Jahre Buchgestaltung», die 1986/87 im Predigerchor der ZB stattfand und zu der die Begleitpublikation «Meister des graphischen Sinnbilds» erschien.

Wie der deutsche Fotograf Thilo Beu festgehalten hat, lädt der Vogel auch dazu ein, die Welt einmal durch Eulenaugen zu betrachten, wie der Künstler es selbst demonstriert hat. In Umkehrung seiner vielen Bilder von Eulen richtet er hier einen freundlichen, aber dennoch durchdringenden Blick aus ihrer Perspektive auf uns.


Celestino Piatti mit der Eiseneule, 1987 (Bild: © Thilo Beu)

Mit der Eule zur Abstimmung

Links eines der Abstimmungsplakate von Celestino Piatti zum Erweiterungsbau der ZB Zürich, rechts ein Werbeplakat für die ZB (Bild: Celestino Piatti / Verein «Celestino Piatti – das visuelle Erbe» / ZB Zürich)

Seit 1986 hat Piatti für die Zentralbibliothek drei Plakate geschaffen. Eines für die Abstimmung über den Erweiterungsbau der ZB Zürich, das in je einer Fassung für die kantonale und städtische Abstimmung vorhanden ist. «Die ZB ist für alle da» lautete damals der markante Spruch, mit dem man um die Zustimmung zur Erweiterung des Gebäudes warb. Sie wurde schliesslich erteilt.

Auch für die Ausstellung «Celestino Piatti – dreissig Jahre Buchgestaltung» in der Zentralbibliothek schuf der Künstler das Ausstellungsplakat. Dort verschmilzt der Kopf einer Eule mit einem Buch. In einem dritten Plakat schillert der Vogel der Weisheit in tausend Farben. Der um das Plakat laufende Spruch «Zürich hat viele gute Seiten – die meisten in der Zentralbibliothek» stammt aus der Feder von Rainer Diederichs, einem ehemaligen Leiter der Öffentlichkeitsarbeit in der ZB Zürich.

Schreib hier, doch nicht ins Buch

Das ZB-Lesezeichen aus dem Jahr 2001, Vorder- und Rückseite (Bild: Celestino Piatti / Verein «Celestino Piatti – das visuelle Erbe» / ZB Zürich)

Eine weitere Spur in der ZB hinterliess Piatti im Jahr 2001 mit einem Lesezeichen, herausgegeben von der Gesellschaft von Freunden der Zentralbibliothek. Es bot Platz für Notizen, die man mit einem, ebenfalls von Piatti gestalteten, Bleistift festhalten konnte. «Schreib hier, doch nicht ins Buch», forderte die ZB die Leserinnen und Leser auf. So wurden sie auf ansprechende Weise daran erinnert, dass die Bibliothek ein Ort für alle sei und Sorgsamkeit im Umgang mit Büchern eine Tugend.

Subtil, aber dennoch wirksam hat Piatti seine Spuren derart in der ZB und in Zürich hinterlassen. Im Januar vor 100 Jahren wurde Celestino Piatti geboren, im Dezember vor 15 Jahren ist er verstorben. Hier schliesst sich der zeitliche Bogen gleichsam wie ein Buch, dem der Künstler viele gute Seiten hinzugefügt hat.

Vom Eulenglück zur Heiligen Nacht – Celestino Piattis Bilderbücher

1963

Friedliche Eulen

Gleich mit seinem ersten Bilderbuch hat Celestino Piatti 1963 einen Longseller vorgelegt, der bis heute in den Kinderzimmern zu finden ist: «Eulenglück». Die Fabel der zufriedenen Vögel beeindruckt durch die zurückhaltende Darstellung mit der Konzentration auf die einzelnen Tiere vor weissem Bildgrund.

Die Kinderbuchverlegerin und -sammlerin Bettina Hürlimann beschrieb Piattis Eulenbuch in den 1960er-Jahren als «Meilenstein in der modernen Bilderbuchkunst». Seine Ästhetik betrachtete sie als «von der Photographie beeinflußte Nahaufnahme», welche «durch die kühnen Möglichkeiten moderner Graphik wunderbar verwandelt» werde.

Aus «Eulenglück», 1963 (Bild: © NordSüd Verlag)

1965

Animalisches ABC

Allgemeine und ebenfalls dauerhafte Zustimmung fand Piattis ABC-Buch. Dieses listet – klug auf den englischsprachigen Markt abzielend – von A wie Alligator bis Z wie Zebra das Alphabet in Tiernamen auf.

Genial zeichnet Piatti auch Tiere, die gar nicht zu sehen sind. Nur seine Spuren verweisen auf den Vertreter des Buchstabens J: «hier ging ein Jaguar vorbei / vor einer Viertelstunde». Piattis grosses Geschick im Umgang mit dem Querformat wird an der Giraffe ersichtlich, die ihren langen Hals auf einer Doppelseite unterbringt. Die Bilder waren auch als lose Einzelblätter erhältlich, ideal zum Aufhängen im Kinder- oder Klassenzimmer.

Aus «ABC der Tiere», 1965 (Bild: © NordSüd Verlag)

1967

Im Zirkus

Dem ABC folgte eine Schilderung der Zirkuswelt. Mit der Ankunft des Wanderzirkus Nock erleben die Betrachtenden den Alltag im Zirkusleben, das in sachlichen Bildern erzählt wird. Celestino Piatti untermalt die Schilderung mit einer abgetönten, beinahe zarten Farbigkeit, von seinem Konturenstil ist hier nichts zu erkennen.

Keine Spur auch von Zirkusromantik, wenn das Zelt aufgebaut und Mittagessen gekocht wird und Akrobatenkinder Hausaufgaben erledigen. Wobei auch da ein Kind einen Stift auf der Nasenspitze balanciert. Doch während der Aufführung kommt Bewegung auf: Artistinnen, Artisten und Tiere wirbeln durch die Manege, Perspektiven schieben sich ineinander zu einem aufregenden Spektakel. Der Zirkus ist da!

Aus «Zirkus Nock», 1967 (Bild: © NordSüd Verlag)

1968

Stille Nacht

Mit der Erzählung der Weihnachtsgeschichte schlägt der Künstler inhaltlich ein neues Kapitel auf und illustriert ein religiöses Thema. Auch stilistisch ist eine mehr malerische Bildgestaltung zu beobachten. Gleichzeitig erinnern die Figuren, insbesondere deren Gesichter mit starken Konturen wie Bleistegen, aus denen die Augen weiss hervorleuchten, überaus passend an die Technik von Kirchenfenstern. Hans ten Doornkaat hat hier von «Kirchen- oder Glasfensterstil» gesprochen. Das nächtliche Blau und die strahlenden Himmelskörper untermalen schliesslich stimmungsvoll die Heilige Nacht.

Aus «Die Heilige Nacht», 1968 (Bild: © NordSüd Verlag)

1970

Zankapfel

«Der goldene Apfel» ist wie das «Eulenglück» eine weitere Parabel auf die Selbst- und Streitsucht der Menschheit. Verlockend an einem Baum hängend wird die Frucht zum Zankapfel für die Tiere, die sich mit allen Mitteln darum streiten. Versöhnlich ist der Schluss, wo ein armes Menschenkind den goldenen Apfel findet.

Das Hochformat lässt die Unerreichbarkeit des Apfels erfassen, so wie die Länge des Halses der Giraffe. Sie darf diesen nun, anders als im ABC-Buch, würdevoll in die Höhe recken. Celestino Piatti hat den sprachlichen Rhythmus des Textes von Max Bolliger durch die ebenfalls rhythmisch aufeinanderfolgenden Bilder aufgenommen.

Aus «Der goldene Apfel», 1970 (Bild: © 2001 Lehrmittelverlag Zürich)

1973

Vom Vor- und Zurückkrebsen

Wenn ein vorwitziger Krebs aus seinem Dasein ausbricht und in die Welt hinauszieht, tut er das besser nicht allein. Frustriert vom ewigen Rückwärtsgang macht sich ein Krebslein auf, um neue Daseinsformen kennenzulernen. Alsbald trifft es auf andere Tiere wie Waschbär, Stinktier oder Kröte, die ebenfalls den ihnen vorgegebenen Verhaltensmustern entfliehen möchten. Bald erkennen sie aber auch die Nachteile des Ungewohnten und kehren – um eine Erfahrung reicher – in ihre vertraute Umgebung zurück.

Dies alles in zartem Aquarell, Piatti lässt Farben ineinanderfliessen, statt starker Kontur wählt er raschen Federstrich, der die Komik der Figuren betont. Der Text stammt, wie schon im «Zirkus Nock» und später in «Barbara und der Siebenschläfer», von der Ehefrau des Illustrators, der Journalistin Ursula Piatti.

Aus «Der kleine Krebs», 1973 (Bild: © NordSüd Verlag)

1976

Farbenspiel mit Pelztier

Das letzte Bilderbuch Piattis stellt Barbara, die Tochter des Künstlers, ins Zentrum des Geschehens. Die Geschichte um die Begegnung des kleinen Mädchens mit einem Siebenschläfer basiert auf einem tatsächlichen Erlebnis auf dem Dachboden der Familie Piatti, wie Ursula Piatti im Nachwort zu der 2021 erschienenen Bilderbuchsammlung schreibt.

Wiederum fein aquarelliert, ist die Bildsprache geprägt von einem kindlichen Stil mit runden, ja kugeligen Formen und Farbklecksen im Hintergrund. So schildert der Illustrator die Beziehung zwischen Kind und Tier behutsam und farbenfroh zugleich.

«Barbara und der Siebenschläfer», 1976 (Bild: © NordSüd Verlag)

Celestino Piatti – Hinweise

In der Zentralbibliothek Zürich finden sich neben Piattis illustrierten Büchern auch Ausstellungskataloge, eine Anthologie und eine Jubiläumspublikation. Hier eine Auswahl:


Die SRF-Sendung Karussell widmete Celestino Piatti im Januar 1987 einen Beitrag. Zu sehen sind verschiedene Highlights aus seinem Werk und auch der Künstler selbst kommt zu Wort.


Der Fernseh-Beitrag anlässlich von Celestino Piattis 65. Geburtstag (Video: SRF)


Dr. Anna Lehninger, Kunsthistorikerin, Projektmitarbeiterin Graphische Sammlung und Fotoarchiv
Oktober 2022


Header-Bild: Die zwei berühmten Eulen vom Cover des Bilderbuchs «Eulenglück» (© NordSüd Verlag)

Nachweise

Die Autorin verfasste den Beitrag auf Grundlage der Werke, auf die sie im letzten Abschnitt hinweist, sowie von Bettina Hürlimanns «Die Welt im Bilderbuch. Moderne Kinderbilderbücher aus 24 Ländern». Die direkten Zitate aus diesem Buch sind auf den Seiten 16 und 67 zu finden. Hans ten Doornkaat spricht in «Celestino Piatti. Meister des graphischen Sinnbilds» auf Seite 98 vom «Kirchen- oder Glasfensterstil» Piattis. Bei «Celestino Piatti – Alles was ich male, hat Augen» stützt sich die Autorin vorwiegend auf Andreas Platthaus’ Beitrag «Celestino Piattis Augenblicke». Die «Janusköpfigkeit» der Sonne auf dem «Mein Freund»-Kalender erwähnt er auf Seite 21.