Sonne, Mond und Eule – Celestino Piattis bekannte und unbekannte Seiten
Der Grafiker, Maler, Plakat- und Buchgestalter Celestino Piatti (1922-2007) schuf zeitlose Motive wie Sonnen und Eulen in vielerlei Gestalt. In der Zentralbibliothek Zürich werden unter anderem seine Plakate zur Abstimmung über den Erweiterungsbau der Bibliothek bewahrt. Aber auch weniger bekannte Seiten seines Schaffens sind noch immer zu entdecken.
Erste Wettbewerbsarbeit
In einem schweizerischen Schülerkalender findet sich eine der frühesten künstlerischen Äusserungen des gebürtigen Zürchers: Bereits in jungen Jahren lieferte Piatti eine erste Kostprobe seines bildgestalterischen Könnens ab, als er 1938, 16-jährig, an einem Zeichenwettbewerb des Pestalozzi-Kalenders teilnahm und einen Preis dafür gewann.
Sein Bild zeigt eine Gruppe Trauernder, just vor dem Grab des beliebten Kalenders. Der Linolschnitt spielt gekonnt mit den Mitteln dieses Mediums: Die Erwachsenen zeigen von Sorge und Gram zerfurchte Gesichter, die Kinder wischen sich mit kantigen Armbewegungen die Tränen aus den Augen. Im Hintergrund streckt ein kahler Baum seine knorrigen Äste in den Himmel, spendet jedoch keinen Trost.
Von Kalender zu Kalender
Viele Jahre später sollte Piatti wiederum zum Bildschmuck eines Schweizer Schülerkalenders beitragen, nun aber als renommierter Grafiker: Von 1964 bis 1974 blickte den Leserinnen und Lesern vom Umschlag des «Mein Freund»-Jugendkalenders eine Sonne Piattis entgegen.
Das Mondprofil ist in das Sonnengesicht hineingesetzt. Dadurch entsteht der Eindruck einer «Janusköpfigkeit», wie sie Andreas Platthaus in der Jubiläumspublikation beschrieben hat. Damit verleiht der Künstler dem Himmelskörper einen nachdenklichen Zug, ein indirekter Anklang an Piattis Bilderbücher, denen Humor und tieferer Sinn gleichermassen zu eigen sind.
Sonne und Mond gehören zu den zentralen Motiven in Piattis Schaffen, ebenso sein wohl bekanntestes Sujet: die Eule. Diese hat er nicht nur zu Papier gebracht, sondern auch in metallene Form gegossen.
Eine rote Eule in der Graphischen Sammlung
So hat sich eine eiserne Eule in der Graphischen Sammlung in der Zentralbibliothek Zürich niedergelassen. Majestätisch wirkt das knallrot bemalte, etwas überlebensgrosse Eulentier, gleichzeitig voller Würde und Anmut. In die Sammlung kam sie im Zuge der von Bruno Weber kuratierten Ausstellung «Celestino Piatti. Dreissig Jahre Buchgestaltung», die 1986/87 im Predigerchor der ZB stattfand und zu der die Begleitpublikation «Meister des graphischen Sinnbilds» erschien.
Wie der deutsche Fotograf Thilo Beu festgehalten hat, lädt der Vogel auch dazu ein, die Welt einmal durch Eulenaugen zu betrachten, wie der Künstler es selbst demonstriert hat. In Umkehrung seiner vielen Bilder von Eulen richtet er hier einen freundlichen, aber dennoch durchdringenden Blick aus ihrer Perspektive auf uns.
Mit der Eule zur Abstimmung
Seit 1986 hat Piatti für die Zentralbibliothek drei Plakate geschaffen. Eines für die Abstimmung über den Erweiterungsbau der ZB Zürich, das in je einer Fassung für die kantonale und städtische Abstimmung vorhanden ist. «Die ZB ist für alle da» lautete damals der markante Spruch, mit dem man um die Zustimmung zur Erweiterung des Gebäudes warb. Sie wurde schliesslich erteilt.
Auch für die Ausstellung «Celestino Piatti – dreissig Jahre Buchgestaltung» in der Zentralbibliothek schuf der Künstler das Ausstellungsplakat. Dort verschmilzt der Kopf einer Eule mit einem Buch. In einem dritten Plakat schillert der Vogel der Weisheit in tausend Farben. Der um das Plakat laufende Spruch «Zürich hat viele gute Seiten – die meisten in der Zentralbibliothek» stammt aus der Feder von Rainer Diederichs, einem ehemaligen Leiter der Öffentlichkeitsarbeit in der ZB Zürich.
Schreib hier, doch nicht ins Buch
Eine weitere Spur in der ZB hinterliess Piatti im Jahr 2001 mit einem Lesezeichen, herausgegeben von der Gesellschaft von Freunden der Zentralbibliothek. Es bot Platz für Notizen, die man mit einem, ebenfalls von Piatti gestalteten, Bleistift festhalten konnte. «Schreib hier, doch nicht ins Buch», forderte die ZB die Leserinnen und Leser auf. So wurden sie auf ansprechende Weise daran erinnert, dass die Bibliothek ein Ort für alle sei und Sorgsamkeit im Umgang mit Büchern eine Tugend.
Subtil, aber dennoch wirksam hat Piatti seine Spuren derart in der ZB und in Zürich hinterlassen. Im Januar vor 100 Jahren wurde Celestino Piatti geboren, im Dezember vor 15 Jahren ist er verstorben. Hier schliesst sich der zeitliche Bogen gleichsam wie ein Buch, dem der Künstler viele gute Seiten hinzugefügt hat.
Vom Eulenglück zur Heiligen Nacht – Celestino Piattis Bilderbücher
Celestino Piatti – Hinweise
In der Zentralbibliothek Zürich finden sich neben Piattis illustrierten Büchern auch Ausstellungskataloge, eine Anthologie und eine Jubiläumspublikation. Hier eine Auswahl:
- «Celestino Piatti – Alles was ich male, hat Augen» herausgegeben von Claudio Miozzari und Barbara Piatti – das Buch zum 100. Geburtstag von Celestino Piatti
- «Piatti für Kinder» mit Texten von Max Bolliger, Ursula Piatti und anderen – die sieben Bilderbücher mit Illustrationen von Celestino Piatti in einem Sammelband
- «Celestino Piatti. Meister des graphischen Sinnbilds» herausgegeben von Bruno Weber
Die SRF-Sendung Karussell widmete Celestino Piatti im Januar 1987 einen Beitrag. Zu sehen sind verschiedene Highlights aus seinem Werk und auch der Künstler selbst kommt zu Wort.
Der Fernseh-Beitrag anlässlich von Celestino Piattis 65. Geburtstag (Video: SRF)
Dr. Anna Lehninger, Kunsthistorikerin, Projektmitarbeiterin Graphische Sammlung und Fotoarchiv
Oktober 2022
Header-Bild: Die zwei berühmten Eulen vom Cover des Bilderbuchs «Eulenglück» (© NordSüd Verlag)
Nachweise
Die Autorin verfasste den Beitrag auf Grundlage der Werke, auf die sie im letzten Abschnitt hinweist, sowie von Bettina Hürlimanns «Die Welt im Bilderbuch. Moderne Kinderbilderbücher aus 24 Ländern». Die direkten Zitate aus diesem Buch sind auf den Seiten 16 und 67 zu finden. Hans ten Doornkaat spricht in «Celestino Piatti. Meister des graphischen Sinnbilds» auf Seite 98 vom «Kirchen- oder Glasfensterstil» Piattis. Bei «Celestino Piatti – Alles was ich male, hat Augen» stützt sich die Autorin vorwiegend auf Andreas Platthaus’ Beitrag «Celestino Piattis Augenblicke». Die «Janusköpfigkeit» der Sonne auf dem «Mein Freund»-Kalender erwähnt er auf Seite 21.