Wer heute durch den Park hinter dem Landesmuseum Zürich am Platzspitz flaniert, weiss wohl vielleicht gar nicht, welche Pracht an Ausstellungspavillons und -hallen sich hier einst vom Mai bis Oktober 1883 entfaltete. Einzig der heute noch stehende Musikpavillon verströmt etwas von dem glanzvollen Flair dieser ersten Landesausstellung der Schweiz. Möchte man mehr erfahren, so bietet sich ein Blick in siebzehn Alben, Mappen und Schachteln in der Graphischen Sammlung der Zentralbibliothek Zürich an, welche mit fast 600 Fotografien dieses Grossereignisses gefüllt und über swisscovery abrufbar sind. Vom Aufbau bis zum Abbruch, vom Ausstellungsgelände bis zum Zürichsee reichen diese Aufnahmen, die einen faszinierenden visuellen Eindruck vermitteln von einer Zeit des industriellen und medialen Wandels in der Schweiz.

Die Ausstellung im Sucher: Romedo Guler als Ausstellungsfotograf

Offizieller Ausstellungsfotograf war der aus Graubünden stammende Romedo Guler (1836-1909). Der fotografische Autodidakt hatte um 1880 ein Fotoatelier in Chur übernommen und führte danach eines in Zürich, wo er die fotografische Gesamtdokumentation der Landesausstellung übernahm. Neben Einblicken in die Ausstellungshallen, Detailaufnahmen der ausgestellten Waren und Objekte und Aufnahmen des Ausstellungspersonals fotografierte Guler auch Ansichten der Stadt Zürich, welche die Stadt als moderne Metropole mit grossen Plätzen und prächtigen Boulevards und Gebäuden präsentieren. Zentrale Motive sind aber Einblicke in grosse Ausstellungshallen, Ansichten von fantasiereich gestalteten Pavillons sowie kunstvolle Vitrinen und einfallsreiche Warenpräsentationen. Auch einzelne Objekte aus der Abteilung «Alte Kunst» wurden fotografisch dokumentiert. Bereits an den Weltausstellungen in Wien 1873 und in Paris 1878 hatte die Fotografie eine massgebliche Rolle in der Berichterstattung und Erinnerungskultur an diese Grossereignisse gespielt und wurde hier gekonnt zur weiteren Bewerbung der Unternehmen und ihrer Produkte eingesetzt.

Warenwelt im Schaukasten

Die Fülle von Romedo Gulers Bildern illustriert die Vielfalt an Waren und Exponaten, die man an der Landesausstellung bewundern konnte, wie zum Beispiel eine komplette Badezimmereinrichtung mit Liege- und Sitzwanne, Dusche und einem hochmodernen Warmwasser-Boiler, der damals auf dem neuesten Stand der Technik war. Auch simple Alltagsgegenstände wie Teppichwaren wurden mit Kreativität und Aufwand zur Schau gestellt, wobei manche dieser Darstellungen aus postkolonialer Sicht zumindest fragwürdig erscheinen. Im Jagdpavillon wurden ausgestopfte Exemplare der heimischen Wildtierwelt präsentiert: Fuchs und Hase, Reh und Dachs wurden einem Diorama ähnlich möglichst lebensecht gruppiert, während an der Rückwand trophäenartig die Köpfe von Wildschweinen und Gämsen herabschauten. In der Grossvieh-Ausstellung präsentierte man wiederum stolz lebende Kühe und Stiere.

In hell erleuchteter Schokoladenpracht wurden die Produkte des Schweizer Traditionsunternehmens Sprüngli in Szene gesetzt wie kostbare Preziosen. Aber auch Vereine wie der Tierschutzverein oder der Schweizerische Alpenclub nutzten die Plattform der Landesausstellung, um ihre Anliegen der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Kunst im Tempel

Neben der imposanten Maschinenhalle und den dort gezeigten Turbinen und Geräten wurde auch der bildenden Kunst viel Raum gegeben. In der Kunsthalle wurden wie in einem Tempel Werke alter und gegenwärtiger Kunst gefeiert. Der Schweizer Kunsthistoriker Carl Brun, später Herausgeber des Schweizerischen Künstler-Lexikons, schwärmte in der Schweizerischen Bauzeitung: «Fern vom lärmenden Getriebe der Maschinenhalle und des Industriepalastes, an dem der Platz-Promenade entgegengesetzten Ende der Stadt, erhebt sich in schönster Lage am See ein Pavillon, dessen Bestimmung der Nahende schon von Weitem ahnt. Die langgestreckt, blendenweisse Façade mit dem korinthischen Porticus, die Sphinx-Akroterien des Giebels, die ihn bekrönende Pallas Athene, Alles deutet darauf hin, dass dieses Gebäude der Kunst geweiht ist. In der einen Hälfte sind die Werke der vergangenen Zeit, in der anderen diejenigen unseres Jahrhunderts ausgestellt. Dort gewahren wir, in sechs Gruppen vertheilt, die Erzeugnisse der Keramik, Tektonik und Metallotechnik, die Arbeiten der textilen und graphischen Kunst, die alten Glasscheiben, hier die Leistungen der Schweiz auf den Gebieten der Malerei, Skulptur und Architektur.» (S. 25). Neben den Werken der Vergangenheit wurden auch die Gemälde und Skulpturen zeitgenössischer Künstler mit grosser Schaulust für die Besucherinnen und Besucher in Szene gesetzt und von Romedo Guler für die Nachwelt festgehalten.

Zum Andenken

Prächtige, in gefärbtem Leder gebundene und mit goldenem Prägedruck versehene Mappen mit grossformatigen Albuminabzügen der Aufnahmen Gulers wurden einzelnen Personen, die in der Planung und Ausführung der Ausstellung mitgewirkt hatten, gewidmet wie «Herrn Martin Architect» oder «Herrn Direktor R[udolf]. Zuan-v. Salis». Es wurden auch Aufnahmen von Präsidenten und Mitgliedern von verschiedenen Komitees der Ausstellung angefertigt. Ganz persönlich wirken aber schliesslich die Gruppenporträts von Verkäuferinnen und der Oberaufseher der Ausstellung, welche sichtlich stolz vor einer Kulisse mit Bergseepanorama, in adretten Uniformen mit blinkenden Knöpfen Aufstellung genommen haben. Romedo Guler hat somit in seinen Fotografien nicht nur den Makrokosmos einer nationalen Grossausstellung eingefangen, sondern auch die guten Geister hinter der grossen Inszenierung.


Anna Lehninger


Eine Auswahl der Fotografien von Romedo Guler ist in folgender Ausstellung zu sehen:

«Nach der Natur. Schweizer Fotografie im 19. Jahrhundert»
Fotostiftung Schweiz, Winterthur
23. Oktober 2021 bis 30. Januar 2022