14. April 2010 - 02. Oktober 2010

Ausstellungsraum

Predigerchor
Predigerplatz 33
8001 Zürich

Oskar Kokoschka neu gesehen.
Briefe und Bilder

Der Titel und die Buntstiftzeichnung, die auf dem Plakat und der Begleitpublikation der Ausstellung prangen, versinnbildlichen das Anliegen der Zentralbibliothek Zürich: Die mehr als 20’000 Dokumente im schriftlichen Nachlass des Künstlers, der zu den zahlreichen Schätzen der Zentralbibliothek gehört, muten auf den ersten Blick wie Sandkörner in einer Wüste an. Um dieses gewaltige Material zu erkunden, hat sich eine internationale Gruppe von Kokoschka-Forschern auf die Spurensuche in einem Meer aus Sandkörnern begeben. Sie sind dabei auf neue Fussspuren und unbekannte Pfade in Kokoschkas verschlungenem Lebensweg gestossen, die es erlauben, den Künstler immer wieder «neu zu sehen». Gezeigt werden viele bisher unbekannte Dokumente zu seiner Biographie, zu seinen Lieb- und Leidenschaften, seinen Reisen durch ganz Europa und Nordafrika, seinen schmerzlichen Erfahrungen durch Krieg, Verfolgung und Exil, zu Kokoschkas «Schule des Sehens», der von ihm 1953 gegründeten Internationalen Sommerakademie in Salzburg, seinem Wirken als Bühnenbildner für Theater und Oper und seiner Hinwendung zur Welt der Antike nach dem Zweiten Weltkrieg. Neben Autographen, Zeichnungen und Photographien aus dem schriftlichen Nachlass des Künstlers erscheinen Werke der Fondation à la mémoire de Oskar Kokoschka in Vevey, wobei sich Bilder und Schriftstücke gegenseitig ergänzen und erhellen. Dem Besucher werden neue und überraschende Einblicke in das Leben und Werk des grossen Künstlers gewährt.

Das Ausstellungskonzept und die Begleitpublikation wurden von der Zentralbibliothek Zürich in enger Zusammenarbeit mit der Fondation à la mémoire de Oskar Kokoschka erarbeitet. Beide Institutionen besitzen dank grosszügiger Schenkungen durch Olda Kokoschka einmalige Sammlungsbestände aus allen Lebens- und Schaffensphasen des Künstlers. 1981 übergab Olda Kokoschka den schriftlichen Nachlass ihres Gatten in die Obhut der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich, durch deren eifrige Sammeltätigkeit und kontinuierliche Ankäufe die Anzahl der Korrespondenzen und Manuskripte kontinuierlich anwächst. Sieben Jahre später gründete die Witwe die Fondation à la mémoire de Oskar Kokoschka, zu deren Sitz sie die nur wenige Kilometer von ihrem Wohnort entfernte Stadt Vevey wählte. Diese Stiftung verwahrt inzwischen die weltweit grösste Sammlung von Werken des Künstlers.


Das Schweizer Kokoschka-Jahr 2010

Die Ausstellung der Zentralbibliothek Zürich bildet den Auftakt des Schweizer Kokoschka-Jahres 2010. Vor hundert Jahren unternahm der 1886 in Österreich geborene Künstler in Begleitung des Architekten Adolf Loos seine erste Auslandsreise in die Westschweiz. Im Januar 1910 entstanden dort das Bildnis der Tänzerin Bessie Bruce, die unter dem Titel Les Dents du Midi bekannte Landschaft sowie das berühmte Porträt des Naturforschers Auguste Forel. Im Sanatorium Mont Blanc in Leysin malte der 23jährige weitere Porträts adliger, lungenkranker Patienten. Diese frühen Werke legten den Grundstein zu Kokoschkas Ruhm und machten ihn zu einer Leitfigur des Expressionismus. Zwanzig Jahre nach seiner endgültigen Niederlassung in Villeneuve am Genfersee erklärte Kokoschka in seinem Grusswort an den Kanton Waadt, was ihn an dieser Gegend so faszinierte: «Als ich zum erstenmal den Genfer See besuchte, das war vor den zwei Weltkriegen, als meine eigene Heimat noch nicht von der politischen Landkarte verschwunden war, da hätte noch keiner der hier Geborenen daran gedacht, die Regionen, wo der beste Wein der Schweiz wächst, als ein legendäres Paradies schildern zu wollen. Für mich ist es noch ein wirkliches, dank des gestirnten Himmels über mir, der eisbegrenzten Gebirge vor mir und dieser unendlichen Aussicht auf den See von der Grasnarbe, die mein eigen ist. Es ist mir zur zweiten Heimat geworden, dank der freundlichen Menschen um mich herum, die trotz der modernen Völkerwanderung des internationalen Tourismus an ihrem Glauben festhängen, dass das Himmelreich auf Erden und nicht im Jenseits oder in ferner Zukunft sei« (8. April 1973). Sieben Jahre später starb der Maler im Alter von 94 Jahren nach einem schaffensreichen Leben im Spital von Montreux. Dass sein künstlerischer und schriftlicher Nachlass ebenfalls in der Schweiz eine dauerhafte Bleibe fanden, entsprach dem Wunsch des Künstlers und seiner 2004 verstorbenen Witwe Olda Kokoschka.


Ausstellungskonzept: Régine Bonnefoit, Fondation à la mémoire de Oskar Kokoschka, Musée Jenisch Vevey, und Ruth Häusler, Zentralbibliothek Zürich

Bilder: © Fondation à la mémoire de Oskar Kokoschka, Musée Jenisch Vevey / 2010, ProLitteris, Zurich