Fleischfreuden: Metzgete
Herbstzeit ist Metzgete-Zeit, die Spargelsaison der Fleischverrückten und Blutwurst-Aficionados. Was hat es auf sich mit diesem traditionsreichen Gericht und wieso ist es bis heute beliebt?
Mehr als eine Schlachtplatte
Unter «Metzgete» versteht man heutzutage eine Schlachtplatte, wie sie üblicherweise in Restaurants serviert wird. Diese ist meist mit Blut-, Leber- und Bratwürsten sowie weiteren Fleischhappen bestückt und mit Salzkartoffeln und Sauerkraut garniert.
Bis ins frühe 20. Jahrhundert hatte der Begriff jedoch eine weitere Bedeutungsspanne: als «Metzgete» bezeichnete man den Schlachttag auf dem Bauernhof, das üppige Wurstmahl, das die Bauernfamilien anschliessend feierten, sowie die traditionellen Fleischgeschenke, die man nach der Schlachtung an Nachbarn und Verwandte verteilte.
Wie ein Blick ins historische Wörterbuch zeigt, wurde der Begriff zudem schon im 18. Jahrhundert auch im übertragenen Sinn verwendet: Als «Metzgete» umschrieb man in Anspielung auf den Schlachtakt eine blutige Rauferei. Diesem brutalen Beiklang verdankt die «Metzgete» eine anhaltende Popularität als Namenspatin für alles Gröbere: als Benennung für das legendäre Zürcher Velorennen, für Krimis oder gar einen Horrorfilm made in Zurich.
Blutiges Handwerk
Der Gang zum Fleischkühlregal des Supermarkts ist eine neuere Erscheinung. Bis ins 20. Jahrhundert deckte man im ländlichen Raum den Eigenbedarf an Fleisch durch Selbstversorgung: «Fast jede Haushaltung mästete ein oder zwei Schweine» berichtete um 1930 ein älterer Weinländer über seine Jugendzeit im bäuerlich geprägten Kantonsteil. Ging es auf den Winter zu, kam der Zeitpunkt der «Metzgete».
Meist schlachtete ein Störmetzger. Für die vielfältigen und anstrengenden Arbeitsschritte war dieser auf die tatkräftige Mithilfe der Bauernfamilie angewiesen. Nachdem das Tier getötet, ausgeblutet, entborstet, ausgenommen und zerlegt worden war, machte sich der Metzger in einem nächsten Schritt ans Wursten. Neben Blut-, Leber- und Bratwürsten für den raschen Verzehr stellte man auch Fleisch- und Schwartenwürste her. Diese machte man wie die Schinken oder den Speck durch Räuchern haltbar, während andere Stücke durch Einsalzen konserviert wurden. In ärmeren Bauernfamilien bildete diese Dauerware den Fleischvorrat, der für das ganze kommende Jahr reichen musste.
Kleine (Fleisch-)Geschenke erhalten die Freundschaft

Metzgete-Erzeugnisse wie Blut- und Leberwürste, die man nicht haltbar machen konnte, mussten rasch verzehrt werden. Einen grossen Teil dieser Produkte verschenkte man: Die Bauernkinder «trugen die Metzgete aus» und lieferten Nachbarn und Verwandten einen Packen Würste ab.
In den Genuss besonders grosszügiger Gaben kamen der Pfarrer und gelegentlich der Lehrer. Sie durften auf einen Hammen oder ein anderes Edelstück hoffen. Diese Tradition war ein Nachklang älterer Rechtsordnungen: Im feudalistischen Zürich wurden Beamte teils mit Sachleistungen entlöhnt – wozu oft auch eine jährlich zu entrichtende «Metzgete» gehörte. So erhielten beispielsweise die Doktoren des Waisenhauses der Stadt Zürich noch im 18. Jahrhundert jedes Jahr eine Fleischgabe.
Im demokratisch verfassten Zürich kamen solche Naturalgaben ausser Mode. Als Relikte einer früheren Pfründenwirtschaft standen sie zunehmend im Ruch der Korruption. Entsprechend bilanzierte der Historiker Emil Stauber 1924 für das ganze Züribiet, dass die «einst allgemein übliche Hamme des Pfarrers [...] fast allenthalben der Vergangenheit» angehöre.
«Von einer obligatorischen ‹Metzgete›, [...] von allen Süssigkeiten des Schulmeisterstandes der ‹guten alten Zeit› wissen wir Jüngeren leider gar nichts mehr!»
Fröhliches Fressen: Der Brauch des Wurstmahls
Am Abend des Schlachttags lud die Bauernfamilie zum Wurstmahl. Zu Gast waren der Metzger, Nachbarn, Verwandte und gelegentlich auch Lehrer und Pfarrer. Serviert wurden im Raum Zürich folgende Gänge:
- «Fischwis» (eine Brühe mit Lunge, Herz etc.)
- «Gnagi» (gepökelte Wädli, Füessli, Öhrli, Schwänzli und Schnörrli)
- Leber- und Blutwürste mit dem «Wäckerli» als Krönung (mit Blutwurstmasse gefüllter Magen)
- Bratwürste
An Metzgeten ging es munter zu und her. Die Gäste sangen, tanzten und sprachen «auch der Tranksame reichlich zu», wie 1909 ein Zürcher Volkskundler festhielt. Die ausgelassene Tafelrunde wurde gar sprichwörtlich: Sprach man Ende des 19. Jahrhunderts davon, dass es irgendwo «zuegaht wie z’ Watt [b. Regensdorf] am Wurstmahl», so meinte man damit ein wildes Durcheinander.
Um das Wurstmahl herum bestanden spezielle Bräuche. Bis ins frühe 20. Jahrhundert verbreitet war das «Chrumbei»-Singen. Dabei zogen Kinder und Jugendliche vor das Haus der Festgesellschaft und stimmten ein Wurstbettellied an – das sogenannte Chrum(b)bei-Lied. Zum Dank erhielten sie von der Bauernfamilie ein paar Würste geschenkt.
Umstrittene Metzgeten
Bekanntlich spielte ein Wurstessen eine wichtige Rolle für die Zürcher Reformation. Nichtsdestotrotz gerieten die bäuerlichen Wurstmähler ins Visier der reformierten Obrigkeiten. Die ausgelassenen Feiern der ländlichen Untertanen waren den Zürcher Ratsherren ein Dorn im Auge. Immer wieder versuchten sie, diese per Verordnung einzuschränken.
Auch in späteren Jahrhunderten sorgten die Metzgeten-Feiern regelmässig für Unmut. Die Beweggründe der Wurstmahl-Kritiker änderten im Laufe der Zeit und widerspiegeln bedeutende historische Entwicklungen Zürichs seit der Frühen Neuzeit.
Schweinische Gelage
Johann Wilhelm Stucki gehörte zur geistigen Elite Zürichs im ausgehenden 16. Jahrhundert. Er wirkte als Theologieprofessor am Collegium Carolinum sowie als Chorherr am Grossmünster.
1582 veröffentlichte er sein Werk «Antiquitatum convivialium libri III», das die Kulturgeschichte des Gastmahls beleuchtet. An einer Stelle prangert er die Sittenlosigkeit zeitgenössischer Festessen an: Diese hörten sich an wie eine Runde grunzender Schweine oder anderer Bestien, wofür der Alkohol verantwortlich sei.
Stuckis Kritik widerspiegelte die Haltung der protestantischen Stadtobrigkeiten. In deren Augen bedrohten ausgelassene Feierlichkeiten einen gottgefälligen Lebenswandel und mussten eingeschränkt werden.
Gefährdung der Sonntagsheiligkeit
Nach der Reformation nahm die Zahl obrigkeitlicher Verordnungen, mit denen die Zürcher Räte das Leben ihrer Untertanen zu regeln trachteten, deutlich zu. Vor allem die sogenannten Sittenmandate griffen tief in den Alltag ein: Diese versuchten, unzählige Bereiche des täglichen Lebens wie Arbeiten, Kleidung, Ernährung, Feiern, Konsum oder den Gottesdienstbesuch zu regulieren.
Die Obrigkeiten erliessen solche Vorschriften, um die Bevölkerung vor Verarmung zu schützen, aber auch aus religiös begründeter Sorge um den gottgefälligen Lebenswandel ihrer Untertanen. Mit dem Untergang des Ancien Régime verschwanden 1798 auch die Sittenmandate, die im 18. Jahrhundert immer schlechter eingehalten wurden.
Neuartige Kritik: Tierschutz
Inspiriert durch Vorbilder aus England wurden Mitte des 19. Jahrhunderts auch in der Schweiz erste Tierschutzorganisationen gegründet. An vorderster Front dieser bildungsbürgerlichen Bewegung wirkte Philipp Heinrich Wolff aus dem zürcherischen Weiningen.
1881 veröffentlichte Wolff eine Propagandabroschüre, in der ein fiktiver Lehrer von den Eltern eines Bauernbuben an eine Metzgete eingeladen wird. Dort erörtert der Schulmeister mit den Gästen beim gemeinsamen Blutwurstschmaus Tierschutzfragen. Wolff kritisierte in der Broschüre nicht den Fleischkonsum an sich, sondern tierquälerische Zustände beim Schlachten oder die Anwesenheit von Kindern bei der Tötung von Tieren.
Feuchtfröhliche Freinächte
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden bäuerliche Hausmetzgeten rarer. Stattdessen verlagerten sich die Wurstmähler in die Gastronomie. Wie an ihren bäuerlichen Vorbildern ging es auch an den Restaurant-Metzgeten der Zwischenkriegszeit feuchtfröhlich zu: Meist wurden Freinächte bewilligt und Tanzmusik spielte auf.

Krisenzeiten
Als Folge des New Yorker Börsencrashs von 1929 entspann sich eine weltweite Wirtschaftskrise. Deren Folgen zeigten sich ab 1931 auch im Kanton Zürich drastisch – bis 1936 sollten die Arbeitslosenzahlen ununterbrochen ansteigen.
Von der Krise stark betroffen war die Textilindustrie im Zürcher Oberland. Um der weiteren Verarmung der Bevölkerung vorzubeugen, schränkten mehrere Oberländer Gemeinden wie Wetzikon, Wald, Bäretswil oder Hinwil Vergnügungsanlässe ein. Auch die Freinächte, die in früheren Jahren üblicherweise für Restaurant-Metzgeten bewilligt wurden und sich als Bestandteil der populären Vergnügungskultur etabliert hatten, fielen den Einschränkungen zum Opfer.

Blutwürste und Prügeleien
Gemäss dem historischen Wörterbuch bedeutete «Metzgete» im metaphorischen Sinne auch eine blutige Rauferei. Diese Wortübertragung bezieht sich ursprünglich auf den Schlachtakt – gewissermassen rückübertragen passt sie aber auch bestens zu den Restaurant-Metzgeten: Wie damalige Polizeimeldungen und Gerichtsberichterstattungen zeigen, floss in den ausgelassenen Freinächten der Alkohol reichlich und die Metzgeten-Gelage konnten in Radau und Schlägereien enden.

Kriegszeiten
Nach dem ersten Kriegsjahr wurde im Herbst 1940 in der Schweiz das Schweinefleisch zunehmend rar. Das Eidgenössische Kriegsernährungsamt reagierte mit einem Massnahmenbündel zur Einschränkung des Fleischverbrauchs gegen die Knappheit. Dieses beinhaltete eine strenge Reglementierung von Hausschlachtungen sowie auch ein gänzliches Verbot kommerzieller Restaurant-Metzgeten.

Rasen wie Wildsäue
Mit dem Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit stieg in der Schweizer Bevölkerung die Kaufkraft und damit bei Herrn und Frau Schweizer auch der Wunsch nach einem eigenen Auto. Im Vergleich zu den Vorkriegsjahren wuchs der Bestand an Personenwagen in den 1950er- und 1960er-Jahren deutlich an. Dies schlug sich auch in den Unfallstatistiken nieder: Nie zuvor passierten im Kanton Zürich so viele Strassenverkehrsunfälle wie im Jahre 1970. Damals existierten weder eine verbindliche Promillegrenze noch Tempolimits oder eine Gurtenpflicht. Auf der nächtlichen Heimfahrt von einer «lustigen» Metzgete konnten diese Gesetzeslücken fatale Folgen haben – wovon unzählige Polizeimeldungen jener Zeit zeugen.

Spiesserschweine
Im Zuge der politischen und kulturellen Generationenkonflikte der 1970er-Jahre wurde die Restaurant-Metzgete zum Feindbild alternativer und nonkonformistischer Geister. Das üppige Fleischmahl stand in den Augen dieser Kritiker sinnbildlich für eine dumpfe Spiesserschweiz.
So karikierte Peter Heisch 1974 im «Nebelspalter» eine solche kleinbürgerliche Metzgetenrunde wie folgt:
«Meinungen werden ausgetauscht und mit kräftigem Rülpsen bestätigt; stolze Vergleiche über die Zahl der geleisteten Aktivdiensttage tragen zur Erhaltung des Selbstwertgefühls bei. Bald ist nicht mehr auszumachen, ob das lockere Zähnefletschen pastöser Gestalten den bereits blankgenagten Knochen, der Regierung oder den unkultivierten Fremden gilt. Bereits schwer lallende Zungen, die hinter fetttriefenden Lefzen mit den Tücken einer heissen Kartoffel ringen, stossen massive Drohungen gegen langhaarige Müssiggänger aus [...].»
Schweinische Dumpfbacken
Im Roman «Schilten» skizziert der Schriftsteller und Journalist Hermann Burger 1976 eine Beizen-Metzgete im aargauisch-luzernischen Grenzgebiet in eher unvorteilhaften Tönen:
«Er wird in eine niedrige Gaststube gestossen und platzt mitten in eine Fressorgie. [...] Auf langen Bänken zusammengepfercht hocken ganze Sippschaften, (…) und machen sich über die Metzgete her, schlitzen Därme von Blut- und Leberwürsten auf, so dass die graue Grütze und das Stockblut auf alle Seiten spritzt. [...] Jeder sticht mit seiner Gabel zu und versucht, sich die besten Stücke zu ergattern. Dazu wird aus grossen Humpen Bier oder Most getrunken. Man schlingt das Zeug hinunter und stopft die Wänste, und wenn eine Platte leer ist, wird sie über die Köpfe weitergereicht zum Ausschank, und die restliche Schweineschmalzsauce tropft auf Satinröcke und Pluderhosen.»

Die «gute alte Zeit» verwursten
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts veränderte sich als Folge verschiedener Modernisierungen der Stellenwert der bäuerlichen Hausmetzgete. Viele Metzgete-Bräuche verschwanden. Aus dem Säuliamt vermeldete Alt-Lehrer Schneebeli im Jahre 1904: «Von einem Wurstmahl weiss man heute wenig mehr, fast so wenig wie vom Überreichen eines schönen Schinkens an den Herrn Pfarrer!»
Dieses «Aussterben» der traditionellen Hausschlachtungen löste jedoch eine Gegenbewegung aus. Bereits im beginnenden 20. Jahrhundert wurde die «Metzgete» Teil der modernen Folklore und Restaurants wie auch die Veranstaltungskalender von Vereinen und Parteien etablierten das Fleischgericht als saisonale Spezialität. In Lokalzeitungen und Heimatbüchern lebt die Hausschlachtung bis heute weiter – als beliebter Aufhänger für einen Blick zurück in die «gute alte Zeit».
Jüngst erlebt die Metzgete ein neuerliches Revival: In hippen Beizen schmausen urbane Foodies Blutwürste oder Schnörrli und Schwänzli vom Bioschwein. Das Wurstmahl gilt nicht mehr als bünzlig, sondern als authentische und nachhaltige Speise im Sinne des «nose to tail»-Prinzips.
«Was wissen wir Städter noch von der ‹Metzgete alten Schrots und Korns, mit [...] ländlicher Festlichkeit? In unsern Wirtschaften ist sie längst durch die Wildpretküche verdrängt [...] es passt zum Internationalismus, der in der Stadt immer mehr Mode wird. Nur da, wo noch die Scholle bearbeitet wird und eine alteingesessene Bevölkerung zu Hause ist, kennt und würdigt man die ‹Metzgete als alten Brauch.»
Literaturhinweise
- «Goldene Zeit» (Band 2) von Eduard Schönenberger: Das Kapitel «D’Metzgete» liefert eine detailreiche Schilderung einer bäuerlichen Hausmetzgete.
- «Jahresbrauch im Zeitenlauf» von Eduard Strübin: Zwar zum Baselbiet, aber sein Metzgete-Exkurs ist auch aus Zürcher Sicht sehr interessant.
- «'s Chrumb-Bei-singe» von Hermann Bebie: In Oberländer Mundart verfasster Essay zum Brauchtum des Chrumbei-Singens.
- «Züri-Metzgete. 100 x Meisterschaft von Zürich - der Radklassiker» von Martin Born: Etwas weniger blutig als ein Schlachtfest, aber Wädli spielen auch hier eine prominente Rolle.
Dr. phil. Tobias Scheidegger, Kulturwissenschaftler/Historiker und Mitarbeiter Abteilung Turicensia
November 2025
Header-Bild: Ausschnitt aus Conrad Meyers «Abriss, und Beschreibung der XII. Monaten nach ihren Haubtwerken», 1663. (ZB Zürich)






