Als Zürich Weltgeschichte schrieb

Am Vorabend der Reformation

Zürich zählte zur Zeit Zwinglis etwa 5'000 Einwohner, war also deutlich kleiner als Strassburg mit einer Bevölkerung von 20'000 oder Venedig mit sogar 150'000 Personen. Die Stadt verfügte über keine nennenswerten Handelsverbindungen. Viele Einwohner betätigten sich als Handwerker. Erst die Zuwanderung protestantischer Glaubensflüchtlinge half der Textil- und Seidenindustrie wieder auf die Beine zu kommen. Wenn sich Missernten einstellten, konnte das die Bevölkerung hart treffen und eine geregelte Ernährung schwierig machen wie aus der Lebensbeschreibung von Thomas Platter hervorgeht, der 1523 die Fraumünsterschule besuchte. Überhaupt lag die Lebenserwartung deutlich tiefer, denn Zürich wurde im 16. Jahrhundert wiederholt von der Pest heimgesucht, was zahlreiche Opfer forderte.

Streitpunkt Söldnerwesen

Während sich die Reformation in Deutschland am Ablass entzündete, war es in der Schweiz das Thema der Reisläuferei, das unterschiedlich beurteilt wurde und nach Einführung der Reformation die beiden Lager immer wieder gegeneinander aufbrachte. Für die katholischen Landkantone war die Reisläuferei eine wichtige Einnahmequelle. Die meisten protestantischen Orte sahen im Gefolge Zwinglis darin üble Geldmacherei auf Kosten vieler unschuldiger junger Männer.

Durchbruch der Reformation

Während es sich bei Martin Luthers Reformation in Wittenberg um eine Fürstenreformation handelte, weil Kurfürst Friedrich der Weise sich vor seinen Untertan stellte und sein Tun billigte, ist die Reformation in Zürich als Stadtreformation zu bezeichnen. Erst vier Jahre, nachdem Zwingli mit seiner Predigt begonnen hatte, bewilligte der Rat am 29. Januar 1523 die Einführung der Reformation in der Limmatstadt. Dies hatte nicht nur für die altgläubige Partei weitreichende Folgen, sondern auch für viele Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens. So setzte die Aufhebung der Klöster viel Kapital frei, das für die Armenfürsorge, das Bildungswesen und die Krankenpflege eingesetzt werden konnte. Zudem entlastete der neue Glaube jeden einzelnen, da die Ausgaben für rituelle Handlungen, Ablässe und so weiter nun entfielen und das Kapital anders investiert werden konnte.

Martin Luther

Die reformatorische Wende des deutschen Reformators vollzog sich vermutlich vor 1515 in seinem Arbeitszimmer im Südturm des Wittenberger Augustinerklosters (das sogenannte Turmerlebnis). Es dauerte mehrere Jahre, bis Zwingli 1517/18 von ihm Kenntnis nahm. Er betonte immer, unabhängig von Luther zu gleichen Schlussfolgerungen gekommen zu sein. Als Zürcher Leutpriester ermutigte Zwingli die Leute, Luther zu lesen und importierte zu diesem Zweck hunderte seiner Schriften aus Basel. Leider konnten sich die beiden Reformatoren auf kein gemeinsames Abendmahlverständnis einigen, was für die Geschichte der Reformation und des Protestantismus bedauerliche Folgen hatte.

Erasmus von Rotterdam

Zwingli erinnerte sich in seiner «Freundschaftlichen Auseinandersetzung mit Luther» vom Februar 1527: «Denn von mir selbst bezeuge ich vor Gott, ich habe die Kraft und den Inbegriff des Evangeliums aus der Lektüre der Schriften des Johannes und Augustin gelernt, besonders aus sorgfältigem Studium der griechischen Briefe des Paulus, die ich mit eigener Hand vor elf Jahren abgeschrieben habe.» Als Vorlage für seine Abschrift der griechischen Paulusbriefe diente ihm das von Erasmus von Rotterdam 1516 herausgegebene griechische Neue Testament. Überhaupt leisteten die häufig in kirchenkritischem Ton gehaltenen Schriften von Erasmus einen wichtigen Beitrag zu Zwinglis Werdegang als Reformator.

Buchdruck: Das 1. Massenmedium 

Ein wichtiger Faktor für die Durchsetzung der Reformation war der Buchdruck, der die schnelle und weite Verbreitung von Texten gewährleistete. Zwingli gewann mit Christoph Froschauer den damals wichtigsten Buchdrucker der Stadt für seine Sache. Er druckte über Jahrzehnte tausende von Bibeln, Bibelteilen und reformatorischen Schriften, die in ganz Europa Verbreitung fanden.

Radikale Hitzköpfe

Nicht alle Zürcher waren mit Zwingli einverstanden. Ausser den romtreuen Bürgern und Klerikern, die schliesslich die Stadt verliessen, stellte sich eine Gruppe vor allem jüngerer Mitstreiter des Reformators gegen ihn. Namentlich Conrad Grebel und Felix Manz warfen Zwingli vor, die Reformation zu zögerlich einzuführen und mit dem Rat Kompromisse einzugehen. Die Lage spitzte sich derart zu, dass der Rat ab 1527 sogar Todesurteile gegen sie erliess. Da sie die Erwachsenentaufe lehrten, wurden sie später als Wiedertäufer bezeichnet. Die heutigen Amischen und Mennoniten leiten sich direkt von dieser Zürcher Täufergruppe ab, deren Geist in vielen Freikirchen weiterlebt.

Schlacht von Kappel

Schon um 1525 hegte Zwingli Angriffspläne gegen die katholischen Orte, weil er der Überzeugung war, dass man das Evangelium dort erst nach deren Eroberung predigen könne. Während der Erste Kappelerkrieg vom Juni 1529 gütlich mit der Kappeler Milchsuppe beigelegt werden konnte, endete der Zweite Kappelerkrieg im Oktober 1531 mit einer blutigen Schlacht, die den Protestanten eine Niederlage und Zwingli den Tod einbrachte.

Zwinglis Privatbibliothek

Von Zwingli ist zwar kein Tagebuch überliefert, aber 205 Titel seiner Privatbibliothek, von denen sich fast alle in der Zentralbibliothek Zürich befinden. Die Annotationen des Reformators in seinen Büchern gewähren interessante Einblicke in die Entstehung seiner Theologie und in seine Privatsphäre. Die Bände liegen auf der Plattform e-rara.ch digitalisiert vor (soweit aus konservatorischen Gründen ihre Digitalisierung möglich war).

Anlässe für das Jubiläum «500 Jahre Zürcher Reformation»

Verschiedene Institutionen gedenken dieses turbulenten und wichtigen Abschnitts der Zürcher Geschichte mit Ausstellungen, Veranstaltungen und Filmen. Mehr dazu unter den folgenden Links:


Fünf Highlights aus unseren Sammlungen

1. Zwinglis eigenhändige Abschrift der Paulusbriefe nach Vorlage des gedruckten griechischen Neuen Testaments von Erasmus von Rotterdam, das 1516 in Basel gedruckt worden ist.

ZB, Handschriftenabteilung, Signatur: RP 15

2. Porträt von Huldrych Zwingli, das der Zürcher Maler Hans Asper 1549 gemalt hat.

ZB, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, Signatur: Inv. 6

3. Karte des Heiligen Landes, die der deutschen Froschauer-Bibel von 1525 beigebunden worden ist. Es handelt sich dabei um die erste gedruckte Karte, die einer Bibelausgabe beilag.

ZB, Kartensammlung und Panoramen, Signatur: 3 Nv 02: 1

4. Martin Seger: Dyβ hand zwen schwytzer puren gmacht …, Zürich: Christoph Froschauer, 1521. Der Titelholzschnitt wurde unter Mitarbeit von Zwingli gestaltet. Er zeigt die sogenannte göttliche Mühle. Jesus Christus «schüttet» dort die Apostel und Evangelisten hinein, unten kommt «göttliches» Mehl heraus, das Erasmus von Rotterdam in Säcke abfüllt und mit dem Luther Bibeln «backt».

ZB, Abteilung Alte Drucke und Rara, Signatur: Zwingli 106 a.1

5. Bibel, Zürich: Christoph Froschauer, 1531. Die Übersetzung der Zürcher Bibel aus dem Hebräischen (AT) und Griechischen (NT) war fünf Jahre vor derjenigen Luthers abgeschlossen. 1530 erschien sie in einem Band und 1531 als Prachtbibel im Folioformat.

ZB, Abteilung Alte Drucke und Rara, Signatur: Zwingli 304

Zeitachse Reformation

1519

Zwingli kommt nach Zürich

Ulrich Zwingli wird zum Leutpriester beim Zürcher Grossmünsterstift ernannt. Er hält bereits am 1. Januar seine erste Predigt. In seinen Predigten plädiert er für eine Reform des gesamten Lebens und für eine Besserung nicht nur innerhalb der Kirche, sondern aller Menschen.

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Eine Pestepidemie bricht in der Stadt aus. Zwingli erkrankt an der Pest im September, überlebt sie aber. Er sieht in der Genesung das Wirken Gottes. Diese Erfahrung wird seine theologische Weltdeutung stark prägen.

Huldrych Zwingli wird 1519 an das Grossmünsterstift berufen. 

Quelle: Kolorierte Federzeichnung in einer Abschrift von Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte, 1605, ZB, Handschriftenabteilung, Signatur: Ms B 316, f. 15r

1521

Bekämpfung des Söldnerdienstes

Zwinglis Predigt gegen den Söldnerdienst. Der Zürcher Rat verbietet die Anwerbung der sogenannten «Reisläufer» auf dem Zürcher Territorium. Dies sorgt für Empörung bei den anderen Mitgliedern der damaligen Eidgenossenschaft.

Zürcher Söldner ziehen 1521 mit dem Kardinal von Sion auf dem Weg nach Mailand durch sumpfige Gebiete. 

Quelle: Kolorierte Federzeichnung in einer Abschrift von Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte, 1605, ZB, Handschriftenabteilung, Signatur: Ms B 316, f. 49r

1522

Das Wurstessen

Der Buchdrucker und gute Freund von Zwingli Christoph Froschauer verstösst bei einer geselligen Mahlzeit gegen das Fastengebot in dem er Würste für sich und eingeladene Gäste auftischen lässt. Zwingli ist anwesend, isst aber nicht mit.

Der Rat von Zürich verurteilt den Fastenbruch und verordnet eine Untersuchung. Zwingli verteidigt aber die Handlung des Buchdruckers in einer Predigt und mit der Schrift «Vom Erkiesen und Fryheit der Spysen», die er bei Froschauer drucken lässt. Zwingli gerät somit in Konflikt mit dem Bischof von Konstanz.

Erstes Druckerzeichen der Offizin Froschauer, 1521, ZB Graphische Sammlung, Signatur: Varia Druckersignete I, 7

1523

Erste und zweite Zürcher Disputation

Die erste Zürcher Disputation mit etwa 600 geistlichen und weltlichen Personen findet am 29. Januar statt. Die Argumente von Zwingli gegen das Fastengebot gestützt von den Evangelischen Schriften siegen. Der Rat von Zürich schafft das Fastengebot ab.

Ein Beitrag zur ersten und zweiten Zürcher Disputation auf Youtube.

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Nach einer zweiten Disputation Ende Oktober erklärt der Zürcher Rat die Lehren und Weisungen Zwinglis für die ganze Zürcher Geistlichkeit als verbindlich. Der Bildersturm der Zürcher Kirchen wird veranlasst, innerhalb eines halben Jahres sollen sämtliche Bilder entfernt werden. Somit übernimmt der Zürcher Rat die politische Verantwortung für die Durchführung der Reformation.

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Die Täufer distanzieren sich aus theologischen Meinungsverschiedenheiten immer mehr von Zwinglis reformatorischer Bewegung.

Disputation auf dem Rathaus in Zürich im Januar 1523. 

Quelle: Kolorierte Federzeichnung in einer Abschrift von Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte, 1605, ZB, Handschriftenabteilung, Signatur: Ms B 316, f. 75v

1527

Täuferverfolgung und Christliches Burgrecht

Der Zürcher Rat sieht in der Täuferbewegung immer mehr eine politische Bedrohung und verschärft ihre Verfolgung. Der Täuferführer Felix Manz wird wegen Meineid und Ungehorsam gegenüber den obrigkeitlichen Mandaten zu Tode verurteilt und am 5. Januar in der Limmat ertränkt.

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Zürich schliesst mit der reformierten Reichsstadt Konstanz das «Christliche Burgrecht» ab. Dies gewährleistet den gegenseitigen Beistand bei Angriffen wegen des Glaubens. Ähnliche Bündnisse mit weiteren reformierten Kantonen kommen in den Folgejahren dazu.

Felix Manz wird am 5. Januar 1527 als Täufer in der Limmat ertränkt. 

Quelle: Kolorierte Federzeichnung in einer Abschrift von Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte, 1605, ZB, Handschriftenabteilung, Signatur: Ms B 316, f. 284v

1529

Erster Kappeler Krieg und die Marburger Religionsgespräche

Die katholischen Kantone schliessen sich gegen die reformierten Kantone zu einer «Christlichen Vereinigung» zusammen.

Die Streitigkeiten zwischen dem Bündnis der katholischen und dem Bündnis der reformierten Kantone führen zum ersten Kappeler Krieg. Dieser endet friedlich und ergebnislos mit der berühmten «Kappeler Milchsuppe» und dem «Ersten Kappeler Landfrieden».

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Im Oktober finden die Marburger Religionsgespräche, die bedeutendste Theologenversammlung der ersten Reformationszeit, statt. Ulrich Zwingli, Martin Luther, Philip Melanchton und Johannes Oeklampad diskutieren die biblischen Grundlagen der Abendmahllehre. Zwingli und Luther finden keine Einigung, was zu einer konfessionellen Spaltung und zu zwei getrennten reformierten Kirchen führen wird.

An der Grenze zwischen Zug und Zürich essen im Juni 1529 Krieger von beiden Seiten aus dem gleichen Topf eine Suppe aus Milch und Brot.

Quelle: Kolorierte Federzeichnung in einer Abschrift von Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte, 1605, ZB, Handschriftenabteilung, Signatur: Ms B 316, f. 418v

1531

Die Zürcher Bibel und der zweite Kappeler Krieg

Beim Buchdrucker Froschauer erscheint die erste vollständige deutsche Übersetzung des Alten und des Neuen Testaments, später bekannt als die «Zürcher Bibel».

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Die Streitigkeiten zwischen den reformierten und katholischen Orten der alten Eidgenossenschaft führt zum zweiten Kappeler Krieg. Am 11. Oktober findet Zwingli den Tod in der Schlacht bei Kappel. Zürich erleidet eine Niederlage. Am 20. November wird der Zweite Kappeler Landfriede von beiden Parteien unterzeichnet. Hiermit wird die Ausbreitung der Reformation in der deutschsprachigen Schweiz beendet, einige Orte werden zum Teil zwangsweise rekatholisiert.

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 Am 9. Dezember wird Heinrich Bullinger als Antistes der Zürcher Kirche zum Nachfolger Zwinglis berufen.

Heinrich Bullinger, Gemälde von Hans Asper, 1559, ZB, Graphische Sammlung, Signatur: Inv 8

1536

Das Erste Helvetische Bekenntnis

Zürich gibt zusammen mit Bern, Basel, Schaffhausen, St. Gallen und Mühlhausen das «Erste Helvetische Bekenntnis» heraus. Es gilt als das erste gemeinsame Glaubensbekenntnis der reformierten deutschsprachigen Kantone.

Sie finden das digitalisierte «Erste Helvetische Bekenntnis» in einem Sammelband der Schriften Bullinger auf e-manuscripta.ch.

Das Erste Helvetische Bekenntnis, 1536

1549

Einigkeit in der reformierten Kirche

Die fortschreitende Gegenreformation und die Feindlichkeit der Lutheraner führt zur einer innerreformierten Aussprache und zur Erarbeitung des «Consensus Tigurinus». Heinrich Bullinger, Johannes Calvin und Guillaume Farel beseitigen in 26 Artikeln die Glaubensunterschiede zwischen Zwinglianern und Calvinisten. Das Dokument wird im Mai in Zürich unterzeichnet.

Iohannes Calvinus der H. Schrifft Lehrer, Holzschnitt koloriert, nach 1564, ZB Graphische Sammlung, Signatur: Calvin, Joh. I, 38 (3)

1566

Das geistliche Testament Bullingers

Heinrich Bullinger verfasst 1561 das «Zweite Helvetische Bekenntnis». 1564 erkrankt er an der Pest und übergibt das Dokument an den Zürcher Rat im Sinne eines geistlichen Testaments. Das «Zweite Helvetische Bekenntnis» wird 1566 von allen reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz (mit Ausnahme von Basel), von Genf und von weiteren Ländern angenommen.

Sie finden das «Zweite Helvetische Bekenntnis» in unserem Bestand.

Das Zweite Helvetische Bekenntnis, 1566

Die Zürcher Reformation in der Presse

Sie wollen wissen, was über die Zürcher Reformation in Zeitungen und Zeitschriften geschrieben wird? Dann konsultieren Sie die Zürcher Bibliographie.

Literatur über die Zürcher Reformation

Literatur zur Zürcher Reformation im Bestand der Zentralbibliothek finden Sie auf swisscovery.


Dr. Urs Leu, Leiter Abteilung Alte Drucke und Rara
Mai 2019