Zeitlebens unterwegs

James Augustine Aloysius Joyce (1882-1941) um 1915 in Zürich. Mit 22 Jahren verlässt Joyce seine Heimatstadt Dublin und wohnt unter anderem in Triest, Paris und Zürich (Bild: Alex Ehrenzweig / Bridgeman Images)

Manch einer kennt das stilvoll eingerichtete viktorianische James Joyce Restaurant im Zürcher Kreis 1 oder die Joyce-Installation im Platzspitzpark. Das Bloomsday Festival, das Joyce-Fans auf der ganzen Welt jährlich mit verschiedenen kulturellen Anlässen feiern, ist bekannt.

Die längste Zeit seines Lebens verbringt der Autor und Dichter James Joyce (1882–1941) nicht in seiner Heimatsstadt Dublin. Er ist zeitlebens nomadisch unterwegs. Zürich ist für Joyce eine von vielen Exilheimaten. Davon zeugen die letzten Worte seines grössten Werkes, «Ulysses»: «1914-1921 Trieste-Zurich-Paris».

Wohnen und Schreiben in Zürich

Im ersten Stock dieses Hauses an der Universitätsstrasse 38 schreibt Joyce fünf Episoden von «Ulysses» (Bild: BAZ)

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges flüchtet Joyce mit seiner zukünftigen Frau Nora Barnacle und den gemeinsamen Kindern Giorgio und Lucia von Triest nach Zürich. An der Universitätsstrasse 38, wo Joyce mit seiner Familie unter anderem wohnt, ist heute eine Gedenktafel zu finden. Die Familie wechselt häufig den Wohnort, da das Geld knapp ist. Allein im Quartier Seefeld beziehen sie vier verschiedene Bleiben.

Familie Joyce: Nora Barnacle mit Sohn Giorgio und Tochter Lucia in Zürich, 1918 (Bild: courtesy of the Poetry Collection of the University Libraries, University at Buffalo, The State University of New York)

In seinen Zürcher Jahren ist Joyce mit dem Werk «Ulysses» beschäftigt, welches sein grösstes literarisches Vermächtnis werden sollte. Manch eine Leserin und manch ein Leser hat dieses Monumentalwerk aufgegeben – selbst Studierende der englischen Sprache bringen dem Vorreiter des literarischen Modernismus grossen Respekt entgegen. Die Erzähltechnik des  «stream of consciousness» und die unzähligen Details machen es einem nicht leicht. In Zürich schreibt Joyce zwölf von insgesamt achtzehn Episoden von «Ulysses». Das Buch erschien vor 100 Jahren, am 2. Februar 1922, an Joyce’ 40. Geburtstag.

James Joyce in der Zentralbibliothek Zürich

Die ZB Zürich 1919. Joyce schreibt sich am 3. August 1917 als Benutzer Nr. 814 ein <br />(Bild: ZBZ)

In «Ulysses» nimmt Joyce Bezug auf Homers «Odyssee». Was allerdings wenig bekannt ist: Joyce beschafft sich Bücher über das griechische Epos in der Zentralbibliothek Zürich. Als Benutzer Nr. 814 ist er im Benutzerbuch der neu gegründeten ZB Zürich zu finden. Die Einträge bezeugen, dass Joyce auch in den folgenden Jahren 1918 und 1919 ein aktiver Nutzer der Bibliothek ist. In seinen Notizbüchern entdeckt man die Signatur BB 1265, unter der bis heute die «Plays» von Thomas Otway zu finden sind, die Joyce damals konsultiert hat.

Fritz Senn, Leiter der Zurich James Joyce Foundation, vermutet, dass Joyce in einem ZB-Buch über die griechische Vorlage Bleistiftmarkierungen hinterliess. Mit Sicherheit könne man es aber nicht feststellen. Ein Interview mit Fritz Senn über James Joyce ist auf unserer Zurich Open Platform zu finden.

Der Platzspitz

Schriftzug der James Joyce-Stiftung und des Kollektivs Hannes und Petruschka Vogel am Platzspitz (Bild: Hannes Vogel, © Zurich James Joyce Foundation)

Der Ort, wo Limmat und Sihl zusammenfliessen, ist der Lieblingsplatz von James Joyce in Zürich. 2004 lässt die Zurich James Joyce Foundation mit Metallbuchstaben «Ljmmat» und «Sjhl» an die Platzspitzmauer schreiben, Joyce’ Initialen sind in die Flussnamen integriert.

Joyce erwähnt beide Flüsse in seinem Werk «Finnegans Wake»: «Yssel that the limmat?» und «legging a jig or so on the sihl». In «Finnegans Wake» befinden sich weitere Anspielungen auf Zürcher Orte, obwohl die Handlung in Dublin spielt. Zum Beispiel die «sillypost/sullypost» (Sihlpost), «Neederthorpe» (Niederdorf) und «saxy luters» (Sechseläuten). Bemerkenswert ist, wie Joyce in seinen Büchern Wörter in verschiedenen Sprachen mischt und neue erfindet.

Bahnhofstrasse

Die Bahnhofstrasse in den 1920er-Jahren (Bild: ZBZ)

Mit der Zürcher Bahnhofstrasse verbindet Joyce alles andere als angenehme Gefühle. 1918 erleidet er bei einem Spaziergang entlang der Bahnhofstrasse einen heftigen Hexenschuss. Einen Tag darauf folgt ein Glaukom-Anfall. Kurz nach dem Anfall schreibt er das Gedicht «Bahnhofstrasse». Augenkrankheiten begleiten Joyce zeitlebens.

Eine amüsantere Anekdote über die Bahnhofstrasse lässt sich ebenfalls finden. In «James Joyce in Zurich: a Guide» gibt Andreas Fischer Joyce’ Worte wieder: Die Strasse sei so sauber, dass man Minestrone-Suppe direkt vom Trottoir essen könne («if you spilled minestra on the Bahnhofstrasse you could eat it right up without a spoon»).

Begraben in Zürich Fluntern

James Joyce’ Grabmal auf dem Friedhof Fluntern <br />(Bild: BAZ)

1920 folgt Joyce der Einladung des amerikanischen Dichters und Kritikers Ezra Pound nach Paris. Hier erscheint «Ulysses» und wird kurz darauf zum grossen Erfolg. Zwanzig Jahre später flieht Joyce nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erneut nach Zürich. Dieser Aufenthalt in Zürich ist sein letzter: Joyce muss sich einer Magenoperation unterziehen und stirbt kurz darauf, am 13. Januar 1941. Joyce ist mit seiner Familie auf dem Friedhof in Fluntern im Grab 1449 begraben.

Der Bloomsday, der Tag an dem «Ulysses» spielt (16. Juni 1904), wird bis heute international gefeiert. Für Joyce-Liebhaber feiert die Zurich James Joyce Foundation 100 Jahre «Ulysses» unter anderem mit einer Ausstellung, dem Marathon-Reading «Eine Stadt-Odyssee» und einer Leseperformance.


Kathrin Hägele, Anglistin und Historikerin, wissenschaftliche Bibliothekarin in Ausbildung
Februar 2022

 

Header-Bild: James Joyce am Platzspitz (Bild: Carola Giedion-Welcker, © Zurich James Joyce Foundation)