Priska Bucher zieht erste Bilanz
Nach rund drei Monaten als Direktorin der Zentralbibliothek Zürich blickt Dr. Priska Bucher auf ihre bisherigen Erfahrungen zurück, spricht über kommende Herausforderungen und skizziert dabei zentrale Schwerpunkte für die Zukunft der Bibliothek.
Wie haben Sie die erste Zeit an der ZB erlebt?
In der Anfangszeit standen zahlreiche Gespräche im Mittelpunkt. Es war mir wichtig, gut zuzuhören, um zu verstehen, welche Themen die Leitungspersonen, Mitarbeitenden und Partnerinnen und Partner bewegen. Nur so lassen sich fundierte Prioritäten setzen. Der Einstieg wurde mir dadurch erleichtert, dass ich die Zentralbibliothek Zürich (ZB), ihre vielfältigen Abteilungen sowie einen Großteil der Mitarbeitenden und das Umfeld – etwa die Universität Zürich – bereits gut kannte. Besonders gefreut hat mich, wie offen und herzlich ich in meiner neuen Rolle als Direktorin sowohl intern als auch extern empfangen wurde.
Die stabilen Ausleihzahlen der letzten drei Jahre sind erfreulich. Wenn ich in der Prüfungszeit morgens sehe, wie Studierende bereits vor acht Uhr anstehen, um einen Arbeitsplatz zu erhalten, zeigt das, wie wichtig unser zentraler Standort für sie ist. Es freut mich, dass wir ihnen ein Umfeld bieten können, in dem sie sich gemeinsam mit anderen auf Prüfungen vorbereiten oder an wissenschaftlichen Arbeiten schreiben können.
Mich beeindruckt die gute interne Zusammenarbeitskultur und der Gestaltungswille der Mitarbeitenden auf allen Ebenen. Dadurch hat sich die ZB angebotsseitig stark weiterentwickelt und sowohl bezüglich Informationsressourcen als auch bei den Beratungsangeboten ist heute ein passender Mix von analog und digital verfügbar. Für mein Anliegen, als ZB Vorbild zu sein für einen offenen und zugleich reflektierten Umgang mit Automatisierungsprozessen und KI, sind wichtige Grundsteine gelegt, die Entwicklung geht aber rasch weiter. Dass wir als traditionsreiche Kultur- und Gedächtnisinstitution von historischen Beständen in unseren Spezialsammlungen bis hin zu neusten elektronischen Angeboten Services anbieten, ist dabei besonders spannend und wichtig. Während im Hochschulbereich Services auf dem Stand neuster technologischer Entwicklungen Forschung auf Spitzenniveau gewährleisten sollen, ist es für uns als Universitäts-, Stadt- und Kantonsbibliothek wichtig, Elemente davon auch für das Kantons- und Stadtpublikum zugänglich zu machen und dabei die wissenschaftlich interessierten Kunden mit Informations- und Schulungsangeboten zu unterstützen. Möglichkeiten und Knowhow aus verschiedenen Bereichen zu vernetzen und als alltagsrelevante Kompetenzen zu vermitteln, ist eine wichtige Transferleistung der ZB.
Welche Themen stehen für Sie im Fokus? Was konnte bereits angestoßen werden, woran wird aktuell gearbeitet?
Die ZB als Universitätsbibliothek
Als Universitätsbibliothek liegt unser Fokus auf einer bedarfsgerechten, zukunftsfähigen Produktpalette, die Forschende aller Karrierestufen unterstützt – von der Recherche analoger und digitaler Informationsressourcen bis hin zum Publizieren. Unsere Services richten sich besonders an die UZH, aber auch an Forschende anderer Zürcher und Schweizer Hochschulen, ausserakademische Forschende sowie an ein internationales Publikum. Besonders unsere Spezialsammlungen erfreuen sich weltweiter Nachfrage.
Die Forschungsservices der ZB sind interdisziplinär aufgestellt: Mitarbeitende aus dem Digitalisierungszentrum, wissenschaftliche Mitarbeitende mit fachspezifischen Kenntnissen, Datenspezialistinnen und -spezialisten und viele weitere bringen ihre Expertise ein. Um hier noch wirkungsvoller zu agieren, arbeiten wir daran, unsere internen Strukturen so auszurichten, dass Ressourcen gezielt gebündelt werden können.
Ein zentrales Thema ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). In einer Zeit, in der KI und Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT zunehmend an Bedeutung gewinnen, erleben Bibliotheken eine neue Relevanz – nicht trotz, sondern gerade wegen der digitalen Transformation. Während das Internet oft von unstrukturierten und schwer überprüfbaren Informationen geprägt ist, bieten Bibliotheken kuratierte, geprüfte und strukturierte Wissensbestände, die für das Training und die Anwendung von LLMs von großem Wert sind.
Die ZB versteht sich als Brücke zwischen analogem Wissen und digitaler Intelligenz. Durch Digitalisierung und offene Schnittstellen ermöglichen wir den Zugang zu hochwertigen Datenquellen, die für die Forschung nutzbar sind. Dabei ist uns bewusst, dass der Einsatz von KI nicht nur technisches Know-how, sondern auch tragfähige Kooperationen und eine ethisch reflektierte Herangehensweise erfordert. Wir wollen die Potenziale nutzen, ohne die Risiken aus dem Blick zu verlieren.
Neben allgemeinen administrativen Anwendungen – wie sie auch in anderen öffentlichen Institutionen bestehen – gibt es bibliotheksspezifische Einsatzfelder, etwa im Recherchekatalog Swisscovery. Darüber hinaus prüfen wir ZB-spezifische Prozesse, bei denen KI neue Möglichkeiten oder effizientere Abläufe eröffnen kann.
Die ZB als Stadt- und Kantonsbibliothek
In unserer Rolle als Stadt- und Kantonsbibliothek möchten wir allen Interessierten Orientierung bieten und uns gemeinsam mit ihnen weiterentwickeln – offen, neugierig und verantwortungsbewusst. Die Verbindung von historischen Beständen mit modernen Technologien ist dabei eine besondere Aufgabe. In Kursen und Austauschformaten möchten wir gemeinsam mit unseren Nutzerinnen und Nutzern Bedürfnisse, Erwartungen und Grenzen immer wieder neu ausloten.
Auch als physischer Ort bleibt die ZB zentral: Unsere Arbeitsplätze sind besonders bei Studierenden stark nachgefragt. Diesem Bedarf wollen wir weiterhin gerecht werden – und ihn erweitern: mit Gruppenarbeitsplätzen, sogenannten Collab Spaces, die Raum für Austausch und Diskussion bieten. Zudem arbeiten wir an einer flexibleren Raumgestaltung, um das Erdgeschoss verstärkt für kulturelle Veranstaltungen, Community-Events und interaktive Formate zu nutzen.
Erste Pilotformate sind in Planung, begleitet von einer aktiven Einbindung und Befragung verschiedener Zielgruppen.
Unser Service im Wandel
Unser übergeordnetes Ziel ist es, ein umfassendes, bedarfsgerechtes Serviceangebot (Informationsressourcen, Beratungen, Kurse und Veranstaltungen) bereitzustellen – von historischen Beständen bis zu neuesten Technologien. Um dies zu ermöglichen, sind auch interne organisatorische Weiterentwicklungen notwendig. Diese sind nach außen oft wenig sichtbar, bilden aber das Fundament dafür, dass wir auch künftig flexibel und zukunftsfähig agieren können.
Welche Herausforderungen stellen sich für die ZB?
Die zuvor beschriebenen Themenfelder bringen in der konkreten Umsetzung und in der Sichtbarmachung – wie so oft – eine Vielzahl kleinerer und größerer Herausforderungen mit sich. Eine zentrale Anforderung besteht darin, flexibel auf sich rasch wandelnde Trends und Rahmenbedingungen zu reagieren. Die Geschwindigkeit, mit der sich technologische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen vollziehen, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen – das verlangt von uns eine hohe Anpassungsfähigkeit und vorausschauende Planung.
Darüber hinaus sind es vor allem die großen, gesamtgesellschaftlichen Fragen, die auch für die ZB relevant und herausfordernd sind. Wie verändert sich das Informationsverhalten? Welche Ansprüche werden künftig an Informationsqualität, Transparenz und Wissenstransfer gestellt? Wird sich der Anspruch, Wissen weltweit offen zugänglich zu machen, weiter durchsetzen – und wie können wir diesen Prozess aktiv mitgestalten?
Wir möchten uns in diesem Kontext als gefragte Anlaufstelle positionieren – als physischer Ort der Begegnung und Reflexion, als Anbieterin kuratierter analoger und digitaler Informationsressourcen und als vertrauenswürdige Instanz im Umgang mit Wissen. Wir wollen in einer zunehmend komplexen Informationslandschaft Orientierung bieten und Räume für kritischen Austausch schaffen.
Eine besondere Herausforderung – und zugleich Chance – liegt in der Verbindung von technischer Unterstützung und menschlicher Expertise. Mit Hilfe technischer Unterstützung und künstlicher Intelligenz Effizienz und Qualität in der Informationsversorgung optimal zu verbinden, steht für uns, um dies zu erreichen, im Zentrum. Dabei müssen wir kontinuierlich neu ausloten, wie wir technologische Innovationen sinnvoll und verantwortungsvoll in unsere Angebote integrieren können.
Worauf freuen Sie sich im aktuellen Jahr?
Nach dem ersten Einstieg folgen nun in den kommenden Monaten vertiefte Gespräch mit verschiedenen Kooperationspartnern. Einige Grundsatzfragen können am besten im Verbund angegangen werden und ich freue mich darauf, einen Beitrag zu einer gemeinsamen Weiterentwicklung leisten zu können. Gespräche mit den verschiedenen Fakultäten der Universität Zürich stehen an und ich freue mich darauf, dabei noch mehr über die Bedarfe und Anliegen verschiedener Disziplinen zu erfahren. Mit In Frauenhand – Künstlerinnen aus fünf Jahrhunderten wird am 4.September eine neue ZB-Ausstellung eröffnet und nebst bestehenden Vermittlungsformaten werden wir auch gemeinsam mit anderen Institutionen interessante Veranstaltungen durchführen wie z.B die Willi Bretscher Lecture zum Thema Wirtschaftspolitik oder ein Angebot im Rahmen des Zurich AI Festivals. Nach den Sommerferien steht mit dem Hoffest auch ein Anlass für die aktuellen sowie auch ehemaligen Mitarbeitenden der ZB an – darauf freue ich mich.